Ob Einsteiger oder Profi, ob jung oder alt: Wer will, kann in Berlin sieben Tage die Woche fast rund um die Uhr tanzen, von Breaking bis Tango. Ein schwungvoller Einblick in die beliebtesten und urbansten Tanzsportarten der Stadt
Für unsere Urgroßeltern war Tanzen in der Öffentlichkeit noch tabu. Bis vor gut 100 Jahren war Tanzen eine höfische Angelegenheit. Nur die Oberschicht tanzte, die feinen Leute. Sie fanden sich etwa 1912 im Admiralspalast ein, zum ersten Tanzturnier in Deutschland. Doch plötzlich, Anfang der 1920er Jahre, wollten auch die normalen Leute ihre Hüften kreisen und die Beine fliegen lassen. Sie strebten auf die Tanzflächen, vor allem in Berlin war die Lust am Tanz geboren. Heute blickt man voller Ehrfurcht und Freude auf die „roaring twenties“ zurück, die Zeit, als Tanzen demokratisiert wurde. Ebenfalls in dieser Zeit wurden die ersten Vereine gegründet: 1920/21 in Berlin der Reichsverband für Tanzsport (RfT) als Vorläufer des DTV, Deutscher Tanzsportverband e.V., 1922 ferner unter Federführung des Berliner Tanzlehrers Paul Münch der Allgemeine Deutsche Tanzlehrer-Verband (ADTV). Der Landestanzsportverband Berlin wurde 1955 aus der Taufe gehoben. Er ist die Anlaufstelle für klassische Gesellschaftstänze, also Standard und Latein. Die rund 60 unter dem Dachverband organisierten Tanzvereine mit mehr als 5000 Mitgliedern bieten längst aber auch andere Tanzformen an – für Breitensportler und zum Teil für Profis. Das Gleiche ermöglichen private Anbieter. Ob modern oder klassisch, ob mit oder ohne Partner, ob Tango oder Breakdance: In Berlin geht es rund.
Dass die Angebote so gut angenommen werden, liegt an der Freude der Menschen, sich zur Musik zu bewegen. Rhythmus liegt uns von Geburt an im Blut. Zudem powert Tanzen aus, ist gut für die Gesundheit. Tanzen ist überdies ein Sport für alle Altersgruppen: Kinder üben den Gleichgewichtssinn, Alte halten ihre Muskeln auf Trab. Die Tänzer lernen, sich zu konzentrieren. „Es ist wie beim Kochen“, sagt Thorsten Süfke, Präsident des Landestanzsportverband Berlin e. V. „Man hat keine Zeit, sich den Kopf über Alltagssorgen zu zerbrechen. Die Tänzer sind mit Körper und Seele voll dabei.“ Das Schöne am Tanzen ist ferner: „Es ist ein
Miteinander“, sagt Süfke, im Gegensatz zu den meisten Sportarten, in denen man gegeneinander antritt.
Dass die Angebote so gut angenommen werden, liegt an der Freude der Menschen, sich zur Musik zu bewegen. Rhythmus liegt uns von Geburt an im Blut. Zudem powert Tanzen aus, ist gut für die Gesundheit. Tanzen ist überdies ein Sport für alle Altersgruppen: Kinder üben den Gleichgewichtssinn, Alte halten ihre Muskeln auf Trab. Die Tänzer lernen, sich zu konzentrieren. „Es ist wie beim Kochen“, sagt Thorsten Süfke, Präsident des Landestanzsportverband Berlin e. V. „Man hat keine Zeit, sich den Kopf über Alltagssorgen zu zerbrechen. Die Tänzer sind mit Körper und Seele voll dabei.“ Das Schöne am Tanzen ist ferner: „Es ist ein
Miteinander“, sagt Süfke, im Gegensatz zu den meisten Sportarten, in denen man gegeneinander antritt.
CARPOEIRA
Anfang der 1990er Jahre starteten Susanne Österreicher und ihr Mann Rosalvo Ferreira dos Santos in Berlin eine kleine Revolution: Sie führten den Capoeira Angola ein. Der Carpoeira Regional war damals in Deutschland schon länger verbreitet. Die traditionelle, ursprüngliche Tanztechnik der Brasilianer, der Angola, wurde hierzulande erst durch die Beiden bekannt. Der Name geht auf die schwarzen Vorfahren der Einwohner Brasiliens zurück: Sie waren häufig Sklaven aus dem afrikanischen Angola.
1993 veranstaltete das Paar das erste große Event, 1997 gründete es die Akademie Jangada, die einzige Schule ihrer Art in Europa. Zunächst wurde in der Torstraße in Mitte getanzt. Seit einigen Jahren ist das Studio in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg beheimatet. Es ist die Anlaufstelle für Capoeira, sowie für afrikanischen Tanz und andere moderne Tanzsportarten. Wer sich für Capoeira interessiert, sollte eine gewisse Beweglichkeit mitbringen. Gute Tänzer gehen in die Brücke, machen Handstand und drehen sich um die eigene Achse.
BREAKING
Wer hätte das gedacht? Berlin ist einer der absoluten Hotspots für Breaking. Diese Tanzform entstand als Teil der Hip-Hop-Bewegung unter afroamerikanischen Jugendlichen in Manhattan und der Bronx im New York der frühen 1970er Jahre. Für die Jugendlichen war B-Boying, wie es anfangs genannt wurde, eine Alternative zur Gewalt städtischer Straßen-Gangs. Heute ist die wohl urbanste Tanzsportart weltweit etabliert – und wird bald sogar olympisch. Bei den Spielen 2024 in Paris werden erstmals Breakdancer „batteln“. Mit dabei wird höchstwahrscheinlich zumindest eine Berliner Tänzerin sein, das sogenannte „B-Girl“ Jilou. Die 28-Jährige ist die aktuelle Deutsche Meisterin im Breaking. Bei der Weltmeisterschaft 2019 gewann sie die Bronzemedaille. Jilou, die in Wirklichkeit anders heißt, ist Teil der „Flying Steps“, einer 1993 gegründeten Berliner Tanzgruppe, die die Kultur der Straße auf die Bühne gebracht hat – mit diversen Vorstellungen in mehr als 50 Ländern. Legendär ist die Show „Flying Bach“, bei der die vierfachen Breakdance-Weltmeister zu Klavierwerken von Johann Sebastian Bach getanzt haben. 2010 fand der Auftakt in der Neuen Nationalgalerie statt.
Wer sich im Breaking ausprobieren möchte: 2007 wurde die Flying Steps Academy gegründet. Laut Geschäftsführer Stefan Lechermann ist sie die größte urbane Tanzschule Deutschlands mit 1500 Schülern in 120 Kursen. Zu Pop, Funk oder Hip-Hop lernen sie, alles aus ihrem Körper herauszuholen. Aber auch in anderen Schulen und Vereinen wird Breaking angeboten.
STANDARD / LATEIN
Das Parkett glänzt, die Kostüme glitzern: Die Rede ist von Standard- und lateinamerikanischen Tänzen, den Klassikern. Standardtänze sind das, was ursprünglich die Gesellschaftstänze waren, also Walzer, Foxtrott, Slowfox, Quickstep und Tango. Latein meint Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Paso Doble und Jive. Sie waren früher ebenfalls der feineren Gesellschaft vorbehalten und sind heute Disziplinen im Turniertanz.
Ältere Semester erinnern sich: Im Jugendalter ging man selbstverständlich in die Tanzschule, um ein paar Schritte der oben genannten Tänze zu lernen. Heute ist der Besuch der Tanzschule nicht mehr obligatorisch, steht aber noch immer hoch im Kurs. Und noch immer lehren die Trainer die „gesellschaftlichen Spielregeln wie Höflichkeit und Nettigkeit“, sagt Sebastian Keller, Geschäftsführer der Tanzschule Dieter Keller in Friedenau. „Das ist nicht aus der Zeit gefallen“, betont er. Die Eltern fordern es, die Jugendlichen mögen es.
Keller leitet die vor 100 Jahren von seinen Schwiegereltern gegründete Tanzschule in der Rheinstraße seit 2017. Doch er ist schon lange genug an Bord, um über die Veränderungen Auskunft geben zu können: Die Tänze sind die gleichen wie eh und je. Die Unterrichtsmethoden aber haben sich verändert. „Es ist nicht mehr so steif wie früher“, sagt Keller. „Wir veranstalten auch Partys zu Chart-Musik.“ Außerdem muss nicht zwangsläufig der Mann führen und die Frau folgen. Auch gleichgeschlechtliche Paare sind willkommen. Sie müssen sich lediglich einigen, wer den Ton angibt.
Tanzschulen verstehen sich als die besten Anlaufstellen für Menschen, die Gesellschaftstänze lernen möchten. Versierte Tänzer schließen sich einem Verein an, etwa dem Blau-Weiss in Zehlendorf. Mit rund 350 Mitgliedern ist er der drittgrößte Tanzsportverein in Berlin. Er ist offen für alle Alters- und Kenntnisstufen, fördert aber auch ambitionierte Paare, die im besten Fall Turniere tanzen und gar Medaillen abräumen.
TANGO ARGENTINO
Wer abends durch den Monbijoupark radelt, wird sich vielleicht die Augen reiben: Hier frönen Tangotänzer unter freiem Himmel einer der vielleicht anmutigsten sowie leidenschaftlichsten Tanzsportarten, dem Tango Argentino. Ein ähnliches Bild bietet sich häufig auf dem Breitscheidplatz. Sobald die Temperaturen sinken, verlagert sich die Szene in die Ballsäle, etwa in Clärchens Ballhaus in Mitte oder auf den Pfefferberg in Prenzlauer Berg.
Berlins Tangoszene ist riesig, etwa 30.000 Tänzer soll es in der Stadt geben. Berlin gilt nach Buenos Aires in Argentinien, von wo aus sich der Tango Ende des 19. Jahrhunderts in die ganze Welt verbreitet hat, als zweitwichtigster Hotspot für diesen Tanzstil. Etliche Tanzschulen und Vereine laden zu Melongas ein oder bilden Tango-Afficionados aus. Etwa der Sport Club Siemensstadt Berlin e.V., der regelmäßig 50 Paaren die Möglichkeit zum Tango-Tanzen ermöglicht. Hier tanzen im Übrigen meist Ehepaare miteinander. Anderswo finden sich auch fremde Tänzer zusammen – was dem Ursprung des Tangos entspricht: Jeder soll sich mit jedem zur Musik verbinden.
Der beliebteste Tangostil in Berlin ist der Tango Argentino. Im Vergleich zum klassischen Tango, den man eher aus dem Fernsehen kennt, ist er „beweglicher, flexibler, intimer“, sagt Lars Hohlfeld, Trainer beim SC Siemensstadt. „Tango Argentino ist Umarmung“, sagt er. Daher war der Tanzstil auch während Corona sehr gebeutelt. Teilweise war es selbst Eheleuten untersagt, gemeinsam draußen Tango zu tanzen. Hohlfeld und die gesamte Szene hoffen, dass diese Zeiten nun endgültig vorbei sind.
GAGA
Nein, dies ist kein Schreibfehler. Ein noch recht junger Tanzsport nennt sich tatsächlich Gaga. Entwickelt wurde er vom israelischen Choreografen Ohad Naharin. In Berlin bietet etwa die Tanzschule marameo Berlin e.V. in Mitte Gaga an, zwei Mal die Woche, für Interessierte ab 16 Jahren. Tänzerische Vorerfahrungen sind nicht vonnöten. „Jeder tanzt nach seinen eigenen Bedürfnissen“, sagt Pressesprecherin Ronja Grabow. Bei Gaga gehe es um „pleasure of movement“, die Lust an der Bewegung. „Gaga ist eine Bewegungssprache“, sagt sie.
Eine Sprache, die jeder auf seine Weise ausspricht. „Angeleitete Improvisation“ nennt man das. Denn die Lehrer leiten die Teilnehmer zwar mit einer Reihe von aufeinander aufbauenden Anweisungen an. Doch diese gelten nur als Anregungen. Die Teilnehmer setzen die Vorgaben nicht eins zu eins um, sondern interpretieren die Aufgaben auf ihre Weise. So soll es gelingen, den eigenen Körper zu entdecken und durch den Körper Selbsterkenntnis zu erlangen sowie die Sinne zu beflügeln.
Dennoch gibt es ein paar Regeln, etwa: Getanzt wird ohne Spiegel und mit offenen Augen. Ziel ist es, 60 Minuten lang in Bewegung zu sein. Schließlich geht es auch darum, die Ausdauer zu verbessern.
ROCK ’N’ ROLL / SWING
Mode, Musik und Tanz gehören zusammen. Man sieht es wunderbar im RRC Spreeathen Berlin e.V. – etwa, wenn die Petticoats zum 1950er Jahre-Rock in die Höhe fliegen. Der Club hat Wurzeln in der DDR, brachte damals die besten Rock`n`Roll-Tänzer des Landes hervor – und ist noch immer Heimat für akrobatische Rock`n`Roll-Tänzer, Salti inklusive.
Da dieser Tanzsport extrem schweißtreibend ist und viel Übung bedarf, findet er aber wenig Nachwuchs. Der Club hat sich daher mehr und mehr auf Boogie Woogie und Swing, mit speziellen Formen wie Lindy Hop oder dem sehr dynamischen Collegiate Shag konzentriert. Der spezielle, in den 1930er Jahren von US-amerikanischen College-Studenten ausgehende Shag, wurde unter Mithilfe des Spreeathen-Initiators Axel Platzen in London verbreitet. In Berlin trägt der frühere Rock`n`Roll-Landesmeister sowieso dazu bei. Ab sofort, so Axel Platzen, können sich Interessierte für neue Einsteiger-Kurse anmelden.
TEXT Sabine Hölper
Advertorial
FOTOS Simon Forest / Unsplash, Jakub Tryniszewski / Flying Steps Academy, LTV, Preilluminati on Seth / Unsplash , Rock ‘n‘Roll Club Spreeathen Berlin e.V.